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  • rgebhardt

Hund aus 2. Hand



In der Regel entscheidet man sich für einen Hund aus dem Tierheim, weil man etwas Gutes tun und helfen will. Oftmals verläuft die Eingliederung im neuen Zuhause ohne Probleme. Doch trotz allen Engagements darf man nicht vergessen, dass man dabei sozusagen die Katze im Sack kauft und es im Nachhinein zu einigen unliebsamen Überraschungen kommen kann. Nicht selten führt dies dazu, dass der Hund über kurz oder lang wieder ins Tierheim zurückgegeben wird. Viele Rückgaben von Tierheimhunden könnten vermieden werden durch eine gründliche Aufklärung der neuen Besitzer und die Erläuterung wichtiger Verhaltensregeln für die erste Zeit.

Ein Hund aus dem Tierheim hat immer eine Vergangenheit.

Kauft man einen Welpen beim Züchter, hat man in der Regel einen bestens vorbereiteten kleinen Hund, sozusagen als unbeschriebenes Blatt, vor sich. Ein Hund aus dem Tierheim dagegen ist immer ein Tier mit einer unbekannten Vergangenheit. Zudem gab es immer einen Grund, warum er ins Tierheim abgegeben wurde. Bei Tierheimhunden handelt es sich in den seltensten Fällen um geliebte und bislang bestens versorgte Tiere mit untadeliger Erziehung und perfektem Sozialverhalten! Hunde im Tierheim waren ihrem Vorbesitzer in aller Regel lästig, haben demzufolge oft schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht, keine gute Erziehung genossen und häufig, mangels Kontakt, kein gutes Sozialverhalten. Ist man sich dessen bewusst, kann in aller Regel aus einem Tierheimhund mit ein wenig Geduld und gegebenenfalls fachkompetenter Anleitung noch ein sehr guter Familienhund werden. Einige Dinge müssen jedoch unbedingt beachtet werden.

Tierheimhunde haben alle die gleiche Erfahrung gemacht: sie wurden im Stich gelassen, der Kontakt zu ihren bisherigen Bezugspersonen wurde schlagartig abgebrochen. Im Tierheim ist der Kontakt zu Menschen in der Regel eher selten und nur auf wenige Stunden am Tag begrenzt. Den Rest des Tages verbringen sie entweder nur unter Hunden oder oft sogar in Einzelzwingern. Daher schließen sie sich im neuen Heim sehr schnell und, wenn man sie lässt, auch sehr eng an die neuen Besitzer an. Diese haben dafür selbstverständlich jedes Verständnis und empfinden es als ausgesprochen schön. Der arme Hund soll es schließlich richtig gut haben im neuen Heim! Schließlich folgen sie ihrem Besitzer auf Schritt und Tritt. Dabei vergisst man folgendes: Hunde definieren ihre Stellung in der Familienhierarchie unter anderem über den uneingeschränkten Zutritt zu allen Lebensbereichen, also in unserem Falle zu allen Räumen des Hauses/der Wohnung. Gestattet man nun dem Neuankömmling vom ersten Tag an, jeden Raum uneingeschränkt betreten zu dürfen, so stellt man ihn automatisch auf die gleiche Stufe wie sich selbst. Sehr gutmütigen und eher unterwürfigen Hunden ist dies relativ egal. Ein selbstbewusster Hund durchschaut die Konstellation allerdings sofort und wird sie zu seinem Vorteil ausnutzen. Möglicherweise tanzt er seinen neuen Besitzern bald auf der Nase herum.

Ist Ihr neuer Hund kein selbstbewusster Frechling sondern eher sanft und anschmiegsam, kann auch hier eine enge Bindung zum großen Nachteil werden: der Hund entwickelt eine Trennungsangst. Darf er sich in den ersten Wochen zu eng binden, fühlt er sich schließlich ohne direkten Kontakt verlassen und verängstigt. Alleinsein wird damit schnell unmöglich, Ihr Hund zerkaut Ihnen Teppiche oder Schuhe, heult oder verunreinigt sogar die Wohnung.

Daher beachten Sie bitte folgendes: Schränken Sie in den ersten Wochen den Aufenthaltsbereich Ihres Neuzuganges deutlich ein. Setzen Sie Tabubereiche, zum Beispiel Badezimmer, Kinderzimmer, Schlafzimmer. Diese darf der Hund nicht betreten. Halten Sie sich darin auf, schließen Sie die Tür hinter sich und lassen Sie den Hund draußen. In den erlaubten Räumen richten Sie ihm gemütliche Liegeplätze ein, dort darf er sich hinlegen, nicht aber zu Ihren Füßen oder wo immer er sonst möchte. Auf diese Weise demonstrieren Sie auf sanfte und hundeverständliche Art, dass Sie die „Chefs“ im Hause sind. Hierarchiekonflikten und auch Trennungsängsten können so vorgebeugt werden.

Glauben Sie bitte nicht, dass Sie Ihren Hund damit ungerecht behandeln und ihn aus dem Familienleben ausstoßen. Denken Sie daran, dass er es selbst mit ein bisschen Einschränkung im Haus auf alle Fälle um ein vielfaches besser hat als in einem Tierheimzwinger! Außerdem können die Einschränkungen nach einigen Wochen, wenn Sie ihren Hund besser kennen und erzogen haben, wieder gelockert werden.


Konsequente Erziehung von Anfang an

Beginnen Sie sofort mit der Erziehung Ihres neuen Hundes und setzen Sie vom ersten Tag an alle Regeln des häuslichen Alltags freundlich und konsequent durch. Oftmals lassen frischgebackene Besitzer eines Tierheimhundes in den ersten Tagen ein wenig die Zügel schleifen. Der arme Hund hatte bislang schließlich genug Stress im Leben und soll Zeit haben, sich gut einzuleben. Falsch! Hunde sind unglaublich anpassungsfähig an neue Situationen und brauchen keine lange Eingewöhnungszeit. Im Gegenteil: Ihr neuer Hund wird binnen ein bis zwei Tagen durchschaut haben, wie bei Ihnen der Hase läuft. Sind Sie in den ersten Tagen nun besonders nachsichtig, so wird er diesen Zustand als alltäglich annehmen und eventuell protestieren, wenn sich nach zwei bis drei Wochen die Gesetze ändern. Woher soll er auch wissen, dass er sich zunächst nur „eingewöhnen“ sollte? Wenn Sie also z. B. zukünftig nicht wollen, dass Ihr Hund das Schlafzimmer betritt, so zeigen Sie ihm dies vom ersten Tag an und nicht erst nach zwei Wochen. Dies schafft Klarheit und beugt Auseinandersetzungen vor.

Gleiches gilt für Gehorsamsübungen. Natürlich sollen Sie Ihren Neuzugang nicht in den ersten zwei Tagen mit einer Flut von Signalen überfallen! Aber sicherlich werden Sie vom Tierheim erfahren oder es auf Testspaziergängen herausgefunden haben, was der Hund bereits sicher beherrscht. Dies üben Sie in den ersten Tagen auch zu Hause. Bestehen Sie freundlich und konsequent auf die Durchführung der angeordneten Übung. Vergessen Sie das Lob und ein Leckerchen nicht! So lernt Ihr Hund vom ersten Tag an, Signale zu befolgen und dabei Spaß zu haben.


Erst Sie, dann Ihr Umfeld

Verständlicherweise werden Sie sich über Ihren neuen Hausgenossen sehr freuen und ihn am liebsten sofort allen Verwandten, Freunden und Nachbarn vorstellen wollen. Verschieben Sie dies bitte auf ein paar Wochen später und stellen Sie ihm Ihren Freundeskreis häppchenweise vor. Da Sie seine Vergangenheit nicht in allen Einzelheiten kennen, ist es möglich, dass er ein Problem mit Menschenansammlungen hat und sich vielleicht verunsichert fühlt. Lernen Sie ihn erst besser kennen, bevor Sie ihn in Ihre „Gesellschaft“ einführen. Danach wird er sich über Besuch sicherlich freuen.


Erst Vertrauen aufbauen, dann Hygiene und Fellpflege

Durch das Leben im Zwinger ohne regelmäßige und gründliche Fellpflege riecht Ihr neuer Hausgenosse sicherlich deutlich nach Hund. Werfen Sie ihn bitte trotzdem nicht bei nächster Gelegenheit in die Badewanne! Wird er nicht gern gebadet (was bei vielen Hunden der Fall ist) und hat ein Bad als eins der ersten Erlebnisse mit Ihnen, wird er es sich gründlich überlegen, ob er Sie in Zukunft nett finden soll oder nicht. Lassen Sie ihm Zeit, Sie als Vertrauensperson kennen zu lernen. Ist dies der Fall, wird er in Zukunft auch ein etwas unangenehmes Erlebnis wie ein Bad akzeptieren. Sparen Sie beim Baden nicht mit Leckerchen! Essen entspannt und hilft ihm über die Prozedur hinweg.

Gewöhnen Sie ihn langsam an die Fellpflege und haben Sie nicht den Ehrgeiz, ihn am ersten Tag zu einem flauschigen Ausstellungshund zu machen! Gerade langhaarige Hunde filzen gern im Tierheim und brauchen ein wenig Training, um langes und manchmal unangenehm ziependes Kämmen über sich ergehen zu lassen. Beginnen Sie nach einigen Tagen mit einer weichen Bürste und sparen Sie für seine Geduld nicht an Leckerchen. So werden zukünftige Reinigungsaktionen für beide Seiten ein Vergnügen!


Auch wenn ein baldiger Gesundheitscheck sicherlich angebracht ist, verzichten Sie bitte in den ersten Wochen darauf, es sei denn natürlich, Ihr Hund wird krank. Ein Besuch beim Tierarzt wird vom Hund in der Regel als unangenehm empfunden. Hier ist es besser, Sie beide haben zueinander Vertrauen gefasst. Sind Sie bereits ein eingespieltes Team, können Sie ihm den unangenehmen Besuch leichter schmackhaft machen. Sprechen Sie mit Ihrem Tierarzt, den Hund für einige Trainingsbesuche nur kurz vorzustellen oder auf den Behandlungstisch zu setzen und ihm ein Leckerchen geben zu lassen. Gegen eine kleine Gabe für die Kaffeekasse sollte kein Tierarzt etwas dagegen haben, sofern Sie keine medizinischen Leistungen wünschen oder den Betrieb aufhalten.


Besitz von Spielzeug bestimmt die Hierarchie

Lassen Sie zu Hause bitte kein Spielzeug und keine Kauknochen und ähnliches zur freien Verfügung herumliegen. Hunde definieren ihre Position in der Gruppenhierarchie auch über Besitztümer. Je nach den Charaktereigenschaften Ihres neuen Hundes kann er diese Gegenstände dazu verwenden, damit zu prahlen und so eine Vormachtstellung einnehmen, die ihm nicht zusteht. Es mag lustig aussehen, wenn Ihr Hund mit einem Ball ihm Fang vor Ihnen herumturnt und Ihnen geschickt ausweicht, wenn Sie ihm den Ball abnehmen wollen. Doch Vorsicht: hinter dem scheinbar harmlosen Spiel steckt unter Umständen ein Test, wie weit Ihr Hund mit Ihnen verfahren kann. Wollen Sie ihm den Ball abnehmen, kann eine ernsthafte Konkurrenz daraus entstehen, die Sie eventuell verlieren, da Sie Ihren Hund noch nicht gut genug kennen, um zu wissen, ob er nun spielerisch knurrt oder ob er es ernst meint. Vermeiden Sie solche Situationen und trainieren Sie stattdessen gezieltes Abgeben auf Signal durch ein Tauschgeschäft. Nebenbei: alles was immer zur Verfügung steht, ist auf die Dauer langweilig! Nutzen Sie die Chance und machen Sie sich interessant, indem Sie Ihrem Hund ab und zu am Tag ein Spiel mit dem Ball anbieten oder ihm zum gemütlichen Nagen einen Kauknochen geben.


Achten Sie von Anfang an auf gewisse Alltagsrituale, die Ihnen das Leben erleichtern. Er kann zum Beispiel lernen, an einem bestimmten Platz zu liegen, während Sie ihre Kleidung für den Spaziergang anlegen. Leinen Sie an und ab nur in ruhiger Sitzposition. Kontrollieren Sie das Ein- und Aussteigen am Auto. Diese und ähnliche kleine Rituale schulen den Hund, aufmerksam mitzumachen und für Sie selbst wird der Alltag leichter.


Anleitungen für ein gutes Training erhalten Sie in Hundeschulen, die von gut ausgebildeten Trainern geleitet werden. Informieren Sie sich gut über deren Wissenstand, denn es gibt hier leider noch viele Adressen ohne Qualität, da der Beruf des Hundetrainers noch nicht als Ausbildungsberuf existiert, jeder also grundsätzlich eine Hundeschule betreiben darf, ohne dass die Qualifikation überprüft wird. Ein Vorreiter hier ist Schleswig-Holstein. Hier werden Trainer von Fachtierärzten für Verhaltenskunde/Verhaltenstherapie geprüft und erhalten ein Zertifikat. Hessen denkt über eine solche Vorgehensweise nach, Pflicht ist es noch nicht. Es gibt aber Trainerverbände, die sich dieser Vorgehensweise bereits angeschlossen haben und auch in Hessen gibt es entsprechende Trainingsstätten.


Verhaltensprobleme und -störungen nehmen zu

In den letzten Jahren beobachten wir in unserer Praxis (auch im Rahmen unseres Verhaltenstherapieangebotes) die dramatische Zunahme von Hunden mit gravierenden Verhaltensproblemen bis hin zu echten Verhaltensstörungen. Dies resultiert aus der Zunahme von Importen von Hunden aus dem Süden bzw. Südosten also auch aus dem immer noch boomenden Markt mit „Wühltischwelpen“. Hier sehen wir bereits im Welpen- und Junghundalter große soziale Defizite, Angststörungen und weitere Verhaltensauffälligkeiten. Diese Hunde gehören (entgegen der Meinung der Trainer) nicht in eine übliche Hundeschule, da zur Korrektur echter Verhaltensstörungen zunächst die medizinische Diagnose zur Ursache gehört. Selbst gut ausgebildete Trainer haben hierzu nicht ausreichend Fachwissen (kein Vorwurf, sie sind keine Mediziner), ein übliches Training greift hier nicht. In diesen Fällen helfen Fachtierärzte für Verhaltenskunde bzw. Tierärzte mit Zusatzbezeichnung für Verhaltenstherapie (so wie in unserer Praxis), die zum Teil auch mit guten Hundeschulen zusammen arbeiten.


Falls Sie Fragen zum Umgang mit einem „Second-hand-Hund“ haben, stehen wir Ihnen gern zur Verfügung!

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